StVO erneuern? Die Radlobby-Forderungen

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Die österreichische Straßenverkehrsordnung (StVO) atmet noch den Geist jener Zeit, in der sie geschaffen wurde: der 1960er-Jahre. Autos schienen noch ein schillerndes Zukunftsversprechen, der Autobesitz stieg rasant an, und das Prinzip der freien Fahrt und der Flüssigkeit des motorisierten Verkehrs prägte die Gesetzwerdungsprozesse. Nun kennen wir schon lange die Schattenseiten des Autoverkehrs, der sich zu einer flächendeckenden Klimagefahr entwickelt hat. Mit der Veränderung der gesellschaftlichen Sicht auf Mobilität und mit dem Klimawandel stieg im 21. Jahrhundert der Adaptionsdruck auf die StVO.

Vision: keine Verkehrstoten

Dem wurde in einigen Novellen sachte nachgegeben – zuletzt mit einer „Fahrradfreundlichen StVO-Novelle“ im Jahr 2013 unter der damaligen Verkehrsministerin Doris Bures. Die Bestandteile der Novelle brachten – mit Einführung von Fahrradstraßen, Flexibilisierung der Radwegbenützungspflicht und der Helmpflicht für Kinder auf dem Fahrrad – widersprüchliche Ergebnisse.

Den Zielen des Verkehrssicherheitsprogramms der Bundesregierung – allen voran der Vision Zero, also dem Ziel der Vermeidung aller tödlichen Verkehrsunfälle – und den Vorgaben der internationalen Klimakonferenzen war man damit noch nicht sehr nahe gekommen. Höchste Zeit die Straßenverkehrsordnung ins 21. Jahrhundert zu befördern. Was braucht die nächste StVO-Novelle nach Ansicht der Radlobby Österreich?

Die zehn wichtigsten Maßnahmen zur zeitgemäßen, radfreundlichen Verbesserung der Straßenverkehrsordnung

1. Temporeduktion

Verringerte Höchstgeschwindigkeiten sorgen für mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmenden. Daher sollten innerorts Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit und außerhalb von Ortsgebieten Tempo 80 gelten. Höhere Geschwindigkeit außerorts sollte nur zulässig sein, wenn ein straßenbegleitender Weg für Radfahrende vorhanden ist.

2. Kindermobilität

Fahrradnutzung unter Kindern nimmt stetig ab, Bewegungsmangel steigt. Im Sinne einer integrativen Verkehrspolitik, die auch Ziele der Bildungspolitik und Gesundheitsvorsorge mitträgt, brauchen Kinder die Möglichkeit, auch selbständig unbegleitet Radfahren zu dürfen: bis zwölf Jahre auf dem Gehsteig, danach wie bisher auf Fahrbahn oder Radweg. Außerdem braucht es die Erlaubnis zur Nutzung von Rollern und fahrradähnlichem Spielzeug auf Gehsteigen und in Begegnungszonen.

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3. Nachrang aufheben

Die Wartepflicht beim Verlassen von Radfahranlagen durch „Sondernachrang“-Regeln sowie die gefürchtete „Ende“-Markierung auf Fahrbahnen gehören dringend durch Reißverschlusssystem und Rechtsregel reformiert.

4. Transportradpaket

Das Lastenrad boomt und wird gefördert. Studien messen ihm hohes Potential bei städtischen Lieferfahrten zu. Kindertransporträder werden en Vogue. Daher muss die Benützungspflicht von Radfahranlagen zielgruppengerecht flexibilisiert werden. Weiters sollten Limits für das zulässige Höchstgewicht erhöht und Ladezonen sowie Liefertätigkeiten für Transporträder ermöglicht werden. Auch das Mitführen von Fahrrädern auf einem Lastenrad sollte erlaubt werden.

Anmerkung: Als übergeordnetes Ziel tritt die Radlobby Österreich natürlich für eine freie Wahl der Verkehrsflächen und damit für die gänzliche Abschaffung der Radwegbenützungspflicht ein. Bei der StVO-Novelle 2013 hatten wir erfolgreich als momentan möglichen Kompromiss auf die Flexibilisierung hingearbeitet, ebenso zielen wir 2017 auf die Lastenrad-Flexibiliserung als erreichbares Zwischenziel.

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5. Dooring verhindern

Zusätzlich zum ohnehin bereits verbotenen unvorsichtigen Öffnen von Autotüren sollte die Benützungspflicht für Radstreifen aufgehoben werden, da diese zum Großteil in der „Türzone“ – bis zu 1,5m neben Parkstreifen - verlaufen.

6. Einbahnen öffnen

Radfahren gegen die Einbahn in Begegnungszonen sollte ebenso grundsätzlich erlaubt werden wie bereits in Wohnstraßen. Bestenfalls sollten nach Vorbild Belgiens alle Einbahnen generell für den Radverkehr geöffnet sein und nur in Ausnahmen geschlossen werden können.

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7. Ampelausnahmen

Nach dem Vorbild Belgiens, Frankreichs und der Niederlande sollte das Rechts-Abbiegen bei Rot mit Zusatztafel für Fahrräder bei ausgesuchten Ampeln erlaubt werden. Auch in Basel haben aktuelle Pilotprojekte gezeigt, dass dies eine sichere Maßnahme ist.

8. Gruppen

Das Nebeneinanderfahren von Radfahrenden sollte wie in Deutschland generell erlaubt werden, wenn der Verkehr dadurch nicht behindert wird. Radgruppen sollten als „geschlossene Züge“ behandelt werden und Kreuzungen als ganze Gruppe queren dürfen – wie das schon jetzt bei Zufußgehenden der Fall ist.

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9. Abstandsregeln

Der Überholabstand von Kfz gegenüber Radfahrenden sollte mit mindestens 1,5 Metern gesetzlich geregelt werden. Im Kreisverkehr sollte das Rechtsfahrgebot von Radfahrenden nach Schweizer Vorbild aufgehoben und durch „Mittigfahrerlaubnis“ ersetzt werden, um Abbiegeunfälle zu vermeiden. Der Seitenabstand von Radfahrenden zu parkenden Autos sollte analog zum „Abstandsurteil 2016“ ausdrücklich erlaubt sein. Dieses Gerichtsurteil hatte einem Radfahrer dabei Recht gegeben, bis zu 1,8m Abstand zu halten.

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10. Feinschliff

Manche Änderungen in der StVO aus 2013 brauchen dringend Adaptionen, um keine kontraproduktive Wirkung mehr entfalten zu können. So sollte die 10-km/h-Beschränkung vor ungeregelten Radfahrerüberfahrten durch die Formulierung „angepasste Geschwindigkeit“ ersetzt werden. Das Durchfahrtsverbot für Kfz in Fahrradstraßen sollte per Zusatztafel aufgehoben werden können, um mehr Fahrradstraßen zu ermöglichen. Überfällig ist das Annullieren des unbekannten Abstellverbots für Fahrräder in Fußgängerzonen.

 

Anmerkung: Dieser Artikel hat die Highlights der StVO zum Inhalt. Natürlich schränken auch andere Gesetze und Richtlinien die sichere oder sinnvolle Nutzung des Fahrrads ein, von den RVS-Richtlinien für Radverkehr, die z.B. die Mindestbreiten für Mehrzweckstreifen definieren, über Fahrradverordnung und Strafenkatalog bis zum Forstgesetz, das Radfahren auf Forststraßen verhindert. Die Radlobby setzt sich auch in diesen Bereichen für Änderungen ein.

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