Der Gürtel ist eine der wichtigsten Hauptradrouten durch die Stadt, er wird diesen Anforderungen...
Torte der Wahrheit #2: Geöffnete Einbahn
Ulrich Leth, Verkehrsplaner am Institut für Verkehrswissenschaften an der TU Wien, serviert uns monatlich eine Torte der Wahrheit zum Thema Fahrrad und Radverkehr. Mithilfe eines Tortendiagramms werden unterschiedliche Sachverhalte einfach dargestellt, um mit gängigen Missverständnissen, Halbwahrheiten und Mythen aufzuräumen.
Geöffnete Einbahnen
Bei der letzten Torte ging es um die sagenumwobene Länge des Wiener Radwegenetzes, von dem – bei genauerer Betrachtung – nur ein Zehntel wirkliche Radwege sind.
Unser zweites Tortenrezept ist inspiriert von einem Artikel, der unlängst in einer Tageszeitung erschienen ist, passenderweise betitelt mit „Der gefährlichste Radweg Wiens“. Es handelt sich nämlich nicht um einen Radweg, sondern um eine geöffnete Einbahn. Angeblich ist diese Anlageart gefährlich.
Zum Glück lässt sich die Gefährlichkeit von Radfahren gegen die Einbahn leicht nachprüfen, was die Tageszeitung aber nicht gemacht hat. In der amtlichen Unfallstatistik werden nämlich all jene Unfälle aufgenommen, bei denen eine Person verletzt wird. In Wien waren das in den Jahren 2012 bis 2015 genau 23.772 Unfälle mit Personenschaden, 3.868 davon mit Radbeteiligung. Bei 167 davon dürfte laut Statistik die Anlageart „Radfahren gegen die Einbahn“ für den Unfall eine Rolle gespielt haben.
107 Unfälle davon passierten im Kreuzungsbereich, oft weil Autofahrer nicht damit rechnen, dass aus einer Einbahn jemand auf dem Rad kommen kann und teilweise sogar Vorrang hat. Das spricht nicht gegen geöffnete Einbahnen sondern für eine bessere Kennzeichnung im Kreuzungsbereich und dafür, möglichst alle Einbahnen flächendeckend für Radfahrende zu öffnen – Autofahrende sollen an jeder Kreuzung mit Verkehrsteilnehmern aus allen Richtungen rechnen müssen, nicht nur dort, wo unter dem Einbahnschild eine kleine Zusatztafel hängt.
Sichere Anlageart
Die verbleibenden 60 Unfälle passierten im Streckenbereich, dort wo die Tageszeitung das größte Gefahrenpotenzial vermutet, weil sich ein Fahrrad und ein Auto kaum nebeneinander ausgehen. Tatsächlich sind hier aber ca. ein Drittel der Unfälle mit Fußgängern, die offensichtlich nur mit Fahrzeugverkehr aus einer Richtung rechnen. Und knapp 30 Unfälle passieren mit Pkw als Unfallgegner, acht davon bei Grundstücksausfahrten. Hier könnte eine bessere Markierung im Streckenbereich auch hilfreich sein.
Letztlich bleiben weniger als zehn Unfälle mit Personenschaden aus Frontal- oder Streifkollisionen in Einbahnen, die für das Radfahren geöffnete sind, übrig – wohl gemerkt in vier Jahren. Hier kann also kaum vom gefährlichsten Radweg Wiens gesprochen werden – denn diese Anlageart ist weder gefährlich noch ein Radweg. Im Gegenteil: Geöffnete Einbahnen befinden sich unter den sichersten Anlagearten, weil die Sichtbeziehung zwischen Radfahrenden und den ihnen entgegenkommenden Fahrzeugen ideal sind. Probleme entstehen nur, wenn andere Verkehrsteilnehmer nicht mit Radfahrenden aus dieser Richtung rechnen. Dagegen helfen Bodenmarkierungen und eine möglichst flächendeckende Öffnung aller Einbahnen.
Angepasste Geschwindigkeit
Laut den geltenden Richtlinien kann eine Einbahnöffnung übrigens bereits ab 3 m Fahrbahnbreite verordnet werden. Da kann es schon mal eng werden, aber bei angepasster Geschwindigkeit geht sich alles aus. Wenn keine Längsmarkierung angebracht ist, gilt übrigens, dass jenes Fahrzeug, das die Fahrbahnmitte überragt, dem anderen die Vorfahrt zu gewähren hat.
Wir hoffen, die Torte hat euch geschmeckt, freuen uns schon auf nächstes Monat, wenn wir eine neue „Torte der Wahrheit“ servieren dürfen.