Torte der Wahrheit #1: Wiens "Radwegenetz"

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Ulrich Leth, Verkehrsplaner am Institut für Verkehrswissenschaften an der TU Wien, serviert uns monatlich eine Torte der Wahrheit zum Thema Fahrrad und Radverkehr. Mithilfe eines Tortendiagramms werden unterschiedliche Sachverhalte einfach dargestellt, um mit gängigen Missverständnissen, Halbwahrheiten und Mythen aufzuräumen. 

Sagenumwobenes Wiener "Radwegenetz"

Die erste Torte ist ein Klassiker, so zu sagen die Sachertorte der Mythen: das angebliche Radwegenetz der Stadt Wien und dessen sagenumwobene Länge von angeblichen 1.379 km (Stand Dezember 2017). Das gesamte Wiener Straßennetz ist 2.763 km lang, das heißt also, dass es in ziemlich genau der Hälfte aller Wiener Straßen einen Radweg geben müsste. Gibt es aber nicht. Wo hat sich bei diesem Tortenrezept der Fehler eingeschlichen? Er liegt in der Bezeichnung „Radweg“. Ein Radweg ist eine meistens baulich vom übrigen Verkehr getrennte Fläche, die ausschließlich dem Radverkehr zur Verfügung steht und entsprechend attraktiv und sicher für das Radfahren ist.

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Ein genauerer Blick in die Statistik zeigt, dass es nur 128 Kilometer solcher Radwege gibt, also nicht einmal 10 Prozent der angeblichen 1.379 km. Wenn man die getrennten und gemischten Geh- und Radwege noch dazu zählt, kommt man auf immerhin 20 Prozent. Und der Rest? Über ein Viertel der 1.379 km sind verkehrsberuhigte Bereiche, das heißt Strecken, wie etwa der Wienflussweg oder die Wege auf der Donauinsel oder vermeindlich verkehrsberuhigte Straßen mit Kfz-Verkehr. Das ist zwar oft angenehm zu fahren, Radweg ist es aber keiner. Über 20 Prozent entfallen jeweils auf das erlaubte Fahren gegen die Einbahn und auf Radrouten, also Streckenabschnitte im Mischverkehr mit Autos bei erlaubten Geschwindigkeiten bis 50 km/h, die nur durch Verkehrsschilder gekennzeichnet sind - also alles andere als baulich getrennt. 

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Geöffnete Einbahn im 8. Bezirk

Ein kleines Stück der Torte

Wenn Sie also das nächste mal jemanden von fast 1400 km Radwegen reden hören, denken Sie an die Sachertorte und daran, dass nur ein kleines Tortenstück der Bezeichnung „Radweg“ gerecht wird. Die Bezeichnung "Radwegenetz" sollte daher nicht verwendet werden, wenn damit kein Netz aus Radwegen gemeint ist. Eine alternative Bezeichnung lautet z.B. „Radnetz“ – dann ist die Verwechslung mit dem Radweg ausgeschlossen. 
HIER finden Sie weiterführend eine interessante Bachelorarbeit zu diesem Thema. 

RAD RAD RADIOOO

Die "Torten der Wahrheit" gibt es jeden zweiten Freitag im Monat auf Radio Orange 94,0 in der von der Radlobby Wien unterstützten Sendung RAD RAD RADIOOO zu hören. Diese Sendung widmet sich allen Facetten des besten urbanen Fortbewegungsmittels, mit speziellem Fokus aufs Wiener Gemüt und dessen Ausprägungen in Verkehrspolitik und Stadtplanung. Die Redakteurinnen und Redakteure besuchen die Radverkehrs-Hotspots einzelner Bezirke, stellen radkulturelle Events und radaktive Protestformen vor und geben handfeste Tipps für den Alltag - vom Reifenwechsel bis zur Straßenverkehrsordnumg. Dazwischen: Fahrrad-Musik galore! Auch auf facebook

In diesem Sinne: Mahlzeit! 

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