Radhelmpflicht
Radfahren im Alltag fördert Gesundheit und senkt Gesundheitsausgaben - ob mit oder ohne Helm
In den Industrieländern leiden immer mehr Menschen an Herz-Kreislauf-Problemen, Übergewicht und Atemwegserkrankungen. Die genannten Beschwerden stellen immer stärkere Belastungen für den Einzelnen und große Kostenfaktoren für die staatlichen Gesundheitssysteme dar. Chronischer Bewegungsmangel gilt dabei als Hauptursache, demzufolge ist es wichtig, dass mehr körperliche Bewegung in Alltagsabläufe integriert wird. Radfahren kann aufgrund seiner vielfältigen positiven Auswirkungen auf die Gesundheit als vorbeugende und begleitende Maßnahme sehr hilfreich sein.
Je mehr Menschen das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel und nicht nur als gelegentliches Sportgerät nutzen, desto höher ist der gesundheitliche und finanzielle Nutzen für die Gesellschaft. Bei einer Verdopplung des Radverkehrsanteils in Österreich würde das Gesundheitssystem jährlich um ca. 300 Millionen Euro entlastet.(1)
Beim Radfahren sind die Vorteile für die eigene Gesundheit zwanzig Mal so groß wie das Risiko im Verkehr - egal ob mit oder ohne Helm.(2, 3)
Radfahren als Alltagverkehrsmittel entlastet die Umwelt
In Österreich sind 25 % aller Autofahrten kürzer als 2 km und 50 % aller Autofahrten kürzer als 5 km, das sind ideale Radfahrdistanzen. (4) Jede mit dem Fahrrad zurückgelegte Wegstrecke spart CO2- und Feinstaubausstoß, reduziert Lärmbelastung und Raumnot. Daher müssen effektive Maßnahmen zur Steigerung des Radverkehrs ergriffen werden.
Steigender Radfahranteil senkt Unfallzahlen
Unfallrückgang bei steigendem Radverkehr in Kiel
Langjährige Untersuchungen aus vielen Ländern zeigen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Radverkehrsanteil und Unfallzahlen auf: Je mehr Menschen das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel nutzen, desto geringer ist das Unfallrisiko jedes einzelnen Verkehrsteilnehmers. Denn mehr Radfahrer auf den Straßen beruhigen den Verkehr, sorgen für mehr Aufmerksamkeit und reduzieren die Anzahl gefährlicher Automobile auf den Straßen.
Die Stadt Kiel konnte im Zeitraum 1988-2004 den Radverkehr mehr als verdoppeln, gleichzeitig reduzierte sich die Zahl der Radunfälle relativ um über 50%. (5)
In der Stadt Salzburg hat zwischen 1992 und 2004 der Radverkehrsanteil um 40% zugenommen, das Verletzungsrisiko pro Radkilometer sank aber um 40%. (6)
In Italien wird pro Tag und Person durchschnittlich 0,2 km geradelt – es sterben 11 Radfahrende pro 100 Millionen geradelter Kilometer. In den Niederlanden sterben 0,5 Menschen pro 100 Mio. km bei 3 geradelten Kilometern pro Tag und Person! (7) Die Helmtragequote in NL ist sehr gering.
Helmpflicht reduziert Radfahranteil drastisch
Die gesetzliche Verpflichtung zum Tragen eines Radhelms wäre eine Hürde, die eine alltägliche Nutzung des Fahrrades erschwert und damit den Radanteil stark verringern würde. Jede Maßnahme, die den Radanteil reduziert statt erhöht, hat negative Auswirkungen auf Volksgesundheit, Unfallhäufigkeit und Umwelt. Erfahrungen zeigen einen Rückgang von 30% bis zu 50%! Die dadurch entstehenden Effekte wie abnehmender Gesundheitsnutzen und steigende Unfallgefahr überschreiten etwaigen Nutzen durch Verletzungsvermeidungen bei Helmtragen deutlich.
1991 wurde in Australien eine Helmpflicht für Radfahrer gesetzlich verordnet, dem bis dahin ungebrochenen Anstieg bei der Zahl der Radfahrenden folgte ein dramatischer Einbruch: 1993 hatte sich der Radverkehr fast halbiert. Die Zahl der Radunfälle war hingegen nur geringfügig zurückgegangen, das Unfallrisiko für den einzelnen Radfahrer also signifikant angestiegen.(8)
Unfallvermeidung geht vor
Das Tragen eines Radhelmes kann zwar bei bestimmten Unfallarten das Verletzungsrisiko minimieren, aber nicht die Unfallgefahr an sich senken. Maßnahmen zur Unfallvermeidung sehen anders aus: Entschleunigung und Reduzierung des motorisierten Verkehrs, fahrradgeeignete Infrastruktur und Verkehrsorganisation, Schulungs- und Motivationskampagnen.
Pro Velo Schweiz: Maßnahmen, die Menschen vor anderen Verkehrsteilnehmern schützen, sind als prioritär gegenüber Zwangsmaßnahmen des Selbstschutzes einzustufen. (9)
Schutzfunktion von Radhelmen überbewertet
Nur ein kleiner Teil von Radverkehrsunfällen im Alltagsverkehr hat eine Kopfverletzung zur Folge, die durch einen Helm gemindert hätte werden können. All zu oft werden Sportunfälle und Verkehrsunfälle in einen Topf geworfen – nur etwa ein Sechstel der jährlichen Radunfälle mit darauf folgender Spitalsaufnahme finden im Straßenverkehr statt! (10) Selbst bei statistischen Untersuchungen aus medizinischer Sicht ist der Schutzeffekt von Helmen schwer zu beurteilen.(11) Der Radhelm wird bezüglich seiner effektiven Schutzfunktion also oft überschätzt und darf daher in der öffentlichen Debatte nicht den Stellenwert eines Allheilmittels einnehmen – nicht selten wird dadurch von den wahren Ursachen für Unfallhäufigkeit abgelenkt. Es braucht effektive Maßnahmen, die unsere Verkehrssicherheit im Gegensatz zu einer Helmpflicht tatsächlich erhöhen.
„In unserem Nachbarland Schweiz ist die Helmtragequote – auf freiwilliger Basis – von etwa 2 % im Jahr 1987 auf 39 % im Jahr 2006 gestiegen. Beim Vergleich mit den Fahrradunfallzahlen konnte keine positive Wirkung durch das Helmtragen festgestellt werden.“ (12, 13)
Negative Begleiterscheinungen einer Helmpflicht
Die Helmpflicht für Radfahrende zeitigt also zahlreiche gravierende Folgen, die wichtige Entwicklungen unserer Mobilitätsgesellschaft hin zu Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Gesundheit untergraben und somit einen etwaigen, nicht belegbaren Nutzen einer Helmpflicht in punkto Verletzungsvermeidung deutlich übersteigen.
Das trifft auch auf eine Helmpflicht für Kinder zu: Gerade hier werden Grundsteine für Gesundheit, Bewegungsfreude und Radbegeisterung gelegt – und auch hier sind Verkehrserziehung und die Eigenverantwortung der Eltern die geeigneteren Mittel zur Sicherheit.
Darüber hinaus würden sinnvolle Projekte wie öffentliche Leihradsysteme in Wien und anderen Städten und Regionen unbenutzbar. Die Überwachung der Helmpflicht würde noch mehr und besser nutzbare Ressourcen der Exekutive in Anspruch nehmen. Der Wirtschaftsfaktor Fahrrad würde unter einem Rückgang des Radverkehrsanteils stark leiden. Die Attraktivität des Radurlaubslandes Österreich würde ebenso sinken.
Durch den Verkauf von Fahrrädern, Zubehör, Service und Versicherungen wurden in Österreich rund 330 Millionen Euro im Jahr 2007 umgesetzt (14). Die bei der Einführung einer Helmpflicht gesunkene Radnutzung würde zu einer geschätzten Verringerung dieser Umsätze von 10-30% führen.
Eigenverantwortung statt Bevormundung
Das Tragen eines Radhelmes kann in bestimmten Situationen vor gravierenden Verletzungen bewahren. Die eventuellen positiven Folgen einer individuellen Entscheidung für das Helmtragen beim Alltagsradeln können mit Kampagnen zur Eigenverantwortlichkeit gefördert werden - und die negativen Folgen einer Helmtragepflicht dabei vermieden werden.
ÖAMTC (15), ARBÖ und BMVIT (16) unterstützen eine Helmpflicht für Radfahrende nicht, sprechen sich aber für Imagekampagnen pro Helm aus. SicherheitsexpertInnen weisen zu recht auf effektivere und effizientere Schritte im Bereich Verkehrsplanung und Verkehrsschulung hin. Daher ist der Staat aufzufordern, Maßnahmen zur Steigerung der Sicherheit im Radverkehr und damit den Radverkehr selbst zu fördern. Eine Helmpflicht wirkt hier äußerst kontraproduktiv!
Wir schließen daher mit einem klaren NEIN zur Radhelmpflicht in Österreich!
Diesen Artikel sowie eine Langfassung des Positionspapieres der Radlobby Österreich zur Helmpflicht können Sie als pdf-Dokument downloaden:
Nachweise:
1) Berechnung basierend auf: Health economic assessment tool for cycling, World Health Organization 2008, www.euro.who.int/transport/policy/20081219_1
2) The health benefits of cycling, Bicycle Helmet Research Foundation, www.cyclehelmets.org/1015.html
3) Improving Bicycle Safety without making helmet-use compulsory, European Cyclists' Federation 1998
4) Masterplan Radverkehr, Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Wien 2006
5) Radfahren in Kiel …mit mehr Sicherheit, Merkblatt der Landeshauptstadt Kiel 2005
6) Auch im Straßenverkehr „Miteinander statt Gegeneinander“, VCÖ Factsheet, März 2007, Seite 3
7) Improving Bicycle Safety without making helmet-use compulsory, European Cyclists' Federation 1998, Seite 11
8) D.L. Robinson, Head injuries and bicycle helmet laws, AGBU, University of New England, 1996
9) Pro Velo Schweiz, Stellungnahme zur „Umsetzung des Handlungsprogramms Via sicura“, Bern, Januar 2009
10) Kuratorium für Verkehrssicherheit, ZVR 427, www.kfv.at/fileadmin/Publikationen/Fachartikel/ZVR/2006/ZVR-092006.pdf
11) Helmet Laws: What has been their effect?, Bicycle Helmet Research Foundation, www.cyclehelmets.org/1096.html
12) PRO VELO - Factbook Velohelmtragpflicht, Bern 2002, Abschnitt 4.2.2.2
13) Erika Ciesla, Velohelme, Sinn oder Unsinn?, www.erika-ciesla.privat.t-online.de/velohelm-praktisch.html
14) VCÖ, Radfahrboom kurbelt Fahrradverkauf an, www.vcoe.at/start.asp?ID=4078
15) Gesetzliche Fahrradhelmpflicht nur als äußerstes Mittel, ÖAMTC Presseaussendung, 19.8.2006, www.ots.at
16) BMVIT, www.bmvit.gv.at/verkehr/ohnemotor/faq/helm.html