Von 16. bis 22. September findet auch heuer wieder die Europäische Mobilitätswoche statt.
Arbeitsweg mit dem Rad: Gesetz adaptieren!
Ein Unfall auf dem Weg zur Arbeit oder von der Arbeit nach Hause gilt in Österreich als Arbeitsunfall. Eigentlich. Denn wie ein Gerichtsurteil im Fall eines 42-jährigen Oberösterreichers zeigt, kann die nach Einschätzung von Versicherung und Gericht „falsche“ Streckenwahl dazu führen, dass ein Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkannt wird – mit potenziellen Folgen für die Versicherungsleistungen, die der oder die Verunfallte bekommt.
Direkter Weg
Clemens Sandhöfner lebt in Ottensheim und pendelte bis vor Kurzem für seine Arbeit als Jugendbetreuer täglich nach Linz. Am 9. Jänner 2020 kam ihm an einer schmalen und steilen Stelle ein Auto entgegen, blieb zunächst stehen, setzte sich dann aber doch wieder in Bewegung. Sandhöfner bremste, stürzte und verletzte sich am linken Handgelenk. Da er auf dem Weg zur Arbeit war, meldete er einen Arbeitsunfall – doch die zuständige Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) erhob Einspruch, und das Landesgericht Linz gab ihr im Dezember 2020 Recht.
Der Grund: Der Oberste Gerichtshof hat 2001 entschieden, dass ein Unfall nur dann ein Arbeitsunfall ist, wenn der direkte Weg gewählt wurde. Dass es gerade für Radfahrende gute Gründe geben kann, einen anderen Weg zu nehmen, wird dabei nicht berücksichtigt, wie das Urteil im Fall Sandhöfner zeigt. Für Sandhöfner führte der kürzeste Weg in die Arbeit über den Donauradweg. Doch Sandhöfner fuhr lieber einen anderthalb Mal so langen Weg über die Orte Dürnberg, Großamberg und Pöstlingberg, auf dem er auch noch 360 Höhenmeter überwinden musste. Nicht um zu trainieren, sondern aufgrund konkreter Überlegungen zur Verkehrssicherheit.
Verkehrssicherheit
Sandhöfner arbeitete abends. Zu der Zeit, zu der er vor Arbeitsbeginn nach Linz fuhr, herrschte auf der Bundesstraße B127 neben dem Donauradweg dichter Autoverkehr in die Gegenrichtung. Bei Dunkelheit werden Radfahrende von den entgegenkommenden Autos geblendet, so dass sie weder den schmalen und kurvigen Radweg noch Randsteine oder entgegenkommende Radfahrer*innen zuverlässig erkennen können. Noch dazu gibt es auf dieser Strecke viele Ein- und Ausfahrten, die ein hohes Risiko für die Verkehrssicherheit darstellen. Auf der Verkehrsunfallkarte der Statistik Austria sind auf dieser Strecke mehrere Unfälle zwischen Auto- und Radfahrer*innen dokumentiert, im Jahr 2017 etwa wurde ein Radfahrer bei einem Zusammenstoß mit einem Auto bei einer Tankstellenausfahrt acht Meter weit durch die Luft geschleudert und schwer verletzt.
Auf der Alternativroute, die Sandhöfner benutzt, gibt es keinen Radweg, und die Straße ist so schmal, dass zwei PKWs nur knapp aneinander vorbeifahren können. Auf den ersten Blick wirkt das unsicherer als ein Radweg – doch es gibt hier wenig Autoverkehr, und gerade die Enge der Straße zwingt Autos dazu, an unübersichtlichen Stellen sehr langsam zu fahren.
Selbsteinschätzung
Sandhöfners Weg sei also nicht der kürzeste gewesen, aber der sicherste, argumentierte er, als die AUVA seinen Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkennen wollte. Doch das Gericht sah das anders. In seiner Urteilsbegründung erklärt es Radwege für generell sicherer als Straßen mit Autoverkehr. Dabei können Radfahrer*innen erfahrungsgemäß selbst am besten einschätzen, welche Route die sicherste ist. Nicht-Radfahrenden sind viele Risiken oft nicht bewusst. Das Urteil im Fall von Clemens Sandhöfner zeigt eine große Rechtsunsicherheit für Radfahrende auf, die aus Verkehrssicherheitsgründen häufig ruhigere und damit sicherere, aber längere Strecken wählen.
Gesetz dringend adaptieren
Das Gesetz gehört also dringend adaptiert, denn es nimmt zu wenig Rücksicht auf die Besonderheiten des Radverkehrs. Diese Fälle sind im ASVG § 175 geregelt. Das Wissen, dass er im Fall eines schwereren Unfalls keinen Anspruch auf Versehrtenrente oder auf die medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitationsmaßnahmen der AUVA hätte, wenn er weiterhin den aus seiner Sicht sichersten Weg radelt, hat Clemens Sandhöfner nachhaltig beunruhigt. Er habe aus der Entscheidung des Gerichts Konsequenzen gezogen, sagt er: „Ich werde nicht mehr mit dem Rad zur Arbeit fahren.“
Quelle: Drahtesel