Ende November trafen sich Aktive, Expert*innen und Interessierte in Wien, um gemeinsam Ideen für...
Radlobby-Faktencheck: Ein Jahr nach der 33. StVO-Novelle
Am 1. Oktober 2022 trat die 33. StVO-Novelle in Kraft. Die Radlobby zieht nun Bilanz und analysiert die 10 wichtigsten inhaltlichen Punkte und ihre bisherige Umsetzung im Faktencheck.
Sind die rechtlichen Änderungen im täglichen Leben der Radfahrenden spürbar oder ist beim jeweiligen Thema noch viel zu tun? Die Analyse-Skala der Radlobby stellt unsere Einschätzung dar:
1) Gesetzlich definierter Überholabstand
Die StVO-Novelle schreibt vor, dass Autofahrende innerorts einen Mindestabstand von 1,5 und außerorts von 2 Metern beim Überholen von Radfahrenden einhalten müssen. Eine Ausnahme gilt bei Tempo 30: Hier ist es laut Gesetzgebung ausreichend, einen "der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechenden seitlichen Abstand" einzuhalten.
Hier ist noch viel zu tun. Messungen der Radlobby zeigen deutlich, dass der gesetzlich definierte Überholabstand vielerorts noch nicht eingehalten wird: 2/3 bis 80% der Überholvorgänge finden unter 1,5 Meter statt, ein erheblicher Anteil sogar unter 0,75 Meter. Umfragen des Kuratoriums für Verkehrssicherheit bestätigen darüber hinaus, dass viele Autofahrende noch nicht über die Gesetzesnovelle informiert sind. Die Landespolizei Wien bestätigte im Ö1-Interview, dass es bisher in dieser Hinsicht keine einzige Strafe seit der Novelle gegeben habe. Dieser Umstand ließe sich darauf zurückführen, dass keine “geeichten Geräte zur Abstandsmessung am Markt" seien, so das BMI in einer der Radlobby vorliegenden Beantwortung einer an das Bürgerservice des BMI gestellten Frage. Trotzdem könne ein Fehlverhalten von Kfz-LenkerInnen zur Anzeige gebracht werden: nämlich über die sogenannte “dienstliche Wahrnehmung”, wenn der Seitenabstand auf Basis der individuellen Schätzung eines/r Beamten/in nicht gegeben ist, so das BMI in der Beantwortung.
Die Radlobby fordert zur Verbesserung der Verkehrssicherheit, der Radverkehrsförderung, sowie des Miteinanders eine umfassende Informationsskampagne auf allen Ebenen zu dem Thema. Darüber hinaus erachten wir es als notwendig, dass auch bei Geschwindigkeiten bis 30 km/h sowie bei der Nutzung von Radfahrstreifen und Mehrzweckstreifen ein gesetzlicher Überholabstand vorgeschrieben ist.
Mehr dazu auf radlobby.at/abstand
2) Neues Verkehrszeichen Grünpfeil für Radfahrende
An bestimmten Kreuzungen kann durch Zusatzschilder das Rechtsabbiegen bei Rot für Radfahrende erlaubt werden. In dieser Situation müssen Radfahrende ähnlich wie bei einem Stop-Schild agieren: anhalten, gegenüber FußgängerInnen warten und weiterfahren, wenn keine Gefährdung anderer besteht.
Die Radlobby hat viele positive Rückmeldungen von Radfahrenden erhalten und die Maßnahme kann als Erfolg eingestuft werden. Österreichweit blickt man nach Wien, wo die meisten Grünpfeile hängen (~340 von ~380 bundesweit). Wir führen dies auf die politische Entscheidung der Mobilitätstadträtin Ulli Sima und Stadtverwaltung zurück, das neue Instrument intensiv einzusetzen.
Eine durchschnittliche Dichte von ~1 Grünpfeil pro Ampelkreuzung (Verkehrslichtsignalanlagen-Knoten oder VLSA-geregelter Schutzweg) ist aus unserer Sicht leicht erreichbar und reduziert die notwendigen Wartezeiten bereits merkbar.
Die Radlobby Wien hat einen Bezirksvergleich erstellt.
Was können Sie für mehr Grünpfeile in Ihrer Gemeinde tun?
Als erfolgreich hat sich erwiesen, der Gemeinde bzw. dem Bezirk eine Vorschlagsliste an möglichen Standorten zukommen zu lassen. Dies ermöglicht der Behörde eine schnellere Prüfung und Umsetzung von möglichen Standorten. Die Behörde (Bezirkshauptmannschaft bzw. Magistrat) benötigt für die Prüfung die folgenden Informationen im Auftrag der Gemeinde (bzw. Bezirks): Einfahrt (Straße) + Ausfahrt (Straße) + Grünpfeil-Art (rechts oder gerade).
Die Radlobby fordert:
- Bessere Sichtbarkeit: In Wien hat sich gezeigt, dass das Grünpfeil-Schild oft nicht gut erkennbar ist, wenn es nicht an der Haltelinie angebracht ist. Die weiter entfernten Schilder sollten zukünftig ein größeres Tafelformat aufweisen. Alternativ eine zweite (kleine) Tafel näher an der Haltelinie.
- Weiterfahrt ohne Halt: In Ländern wie Belgien, Dänemark, Frankreich und der Schweiz gilt das "Vorrang geben"-Prinzip ohne Halt, was einen besseren Verkehrsfluss für Radfahrende bietet. Diese Änderung wäre auch in Österreich sinnvoll.
- Es besteht Bedarf an verstärkter Information und Aufklärung über die Bedeutung von Grünpfeilen für Nicht-Radfahrende, um deren Verständnis und die sichere Anwendung dieser Regelung zu fördern.
- Anknüpfend an den Erfolg in Wien muss der Einsatz von Grünpfeilen noch viel intensiver in den Bundesländern genutzt werden. Hier besteht noch großes Potenzial.
Mehr zum Thema Grünpfeil (inkl. österreichweiter Karte!)
3) Nebeneinander fahren vermehrt erlaubt
Das Nebeneinanderfahren ist auch weiterhin auf Radwegen, in Fahrradstraßen, in Wohnstraßen, in Begegnungszonen, in Fußgängerzonen (wenn das Befahren erlaubt ist) und bei Trainingsfahrten mit Rennrädern erlaubt.
Auch auf sonstigen Radfahranlagen und weiters Straßen mit einem Tempolimit von maximal 30 km/h ist nun das Nebeneinanderfahren gestattet. Nicht jedoch auf Schienen- und Vorrangstraßen sowie gegen die Fahrtrichtung von (geöffneten) Einbahnen. Das linke Fahrrad muss dabei einspurig sein und es darf niemand gefährdet werden, das Verkehrsaufkommen muss dies zulassen und andere dürfen dadurch nicht am Überholen gehindert werden. Mit Kindern bis 12 Jahren darf man nebeneinander radeln (außer auf Schienenstraßen).
Die Änderung funktioniert in der Praxis, jedoch ist sie noch nicht allgemein bekannt und enthält zu viele Ausnahmen. Sie müsste ebenso Teil einer Informationskampagne sein. Die Radlobby setzt sich weiterhin für eine Vereinfachung in Richtung generelle Ausnahme ein, ohne allzu komplizierte Zusatzregelungen.
4) Reißverschluss statt Nachrang bei parallel einmündenden Radwegen
Innerhalb des Ortsgebiets besteht für Radfahrende beim Verlassen von parallel einmündenden Radwegen nicht mehr länger Wartepflicht, sondern es gilt (analog zu Radfahr- und Mehrzweckstreifen) ebenfalls das Reißverschlussprinzip.
Hier ist noch viel zu tun, da die Neuregelung kaum bekannt ist, was auch aus den Zwischenergebnissen der Radlobby-Umfrage hervorgeht (nur 43% kennen sie).
5) Eindämmung überzogener Strafen bei Ausstattungsmängeln
Das Mehrfachstrafen durch Aufsummieren einzelner fehlender Reflektoren wurde behoben. Sind Ausstattungsmängel nach dem § 1 Abs. 1 der Fahrradverordnung vorhanden, dürfen nur noch als eine Verwaltungsübertretung gewertet werden.
Die Neuregelung funktioniert gut. Die vor der Novelle möglichen Strafen von mehreren hundert Euro aufgrund der Aufsummierung der Mängel sind Vergangenheit. Leichte Ausstattungsmängel werden seit der Novelle als ein einziges Delikt gezählt.
6) Hineinragen in Radwege unzulässig, in Gehwege deutlich eingeschränkt
Das Abstellen von Fahrzeugen auf Verkehrsflächen, die dem Radverkehr vorbehalten sind, ist bisher schon verboten. Seit der Gesetzesnovelle ist auch das Hineinragen von Teilen des Fahrzeuges ausnahmslos verboten.
Hier ist noch viel zu tun. Der Radlobby liegen keine Informationen vor, ob die Polizei bzw. Parkraumüberwachung überhaupt selbstständig oder gar schwerpunktmäßig in dieser Sache straft. Es gibt darüber hinaus noch wenig Bewusstsein in der Bevölkerung diesbezüglich, was den Bedarf nach einer Informationskampagne bestätigt. Im Gegensatz zur verbreiteten Annahme gibt es bei dem Radverkehr vorbehaltenen Verkehrsflächen keinen Ermessensspielraum (anders bei Gehwegen, wo das Hineinragen in Ausnahmefällen weiterhin erlaubt ist). Wesentlich wäre hier ebenfalls eine Erhöhung der Bekanntheit - insbesondere des Aspekts, dass die Behörde - bei Hinderung an der Benutzung - Hindernisse nach § 89a ohne weiteres Verfahren zu entfernen hat. In Wien gab es eine von der Radlobby unterstützte Petition zur Durchsetzung der StVO in diesem Punkt sowie eine Empfehlung der Stadt Wien zur verstärkten Kontrolle an die Parkraumüberwachung.
7) Radfahren in Gruppen (als Verband) wird erleichtert
Diese Neuerung schafft klare Rahmenbedingung für das Fahren in Gruppen, auch im Alltag.
Radfahrenden in Gruppen ab zehn Personen ist das Queren einer Kreuzung im Verband durch den übrigen Fahrzeugverkehr zu erlauben. Dabei sind beim Einfahren in die Kreuzung die für Radfahrende geltenden Vorrangregeln zu beachten; der oder die voran Fahrende hat im Kreuzungsbereich den übrigen FahrzeuglenkerInnen das Ende der Gruppe durch Handzeichen zu signalisieren und erforderlichenfalls vom Fahrrad abzusteigen. Der bzw. die erste und der bzw. die letzte RadfahrerIn der Gruppe haben dabei eine reflektierende Warnweste zu tragen.
Die Umsetzung der Neuerung lässt sich in der Mitte verorten. Es bestehen weiterhin Praxisprobleme: Wenn die erste und letzte Person eine Warnweste tragen muss, um beispielsweise den Querverkehr für die Durchfahrt der Gruppe zu stoppen, ist sie ab dem Moment, an dem sie überholt wird, nicht mehr die erste Person. Insofern braucht es eine Gruppe an “Ersten”, welche sich abwechseln, und so aufeinanderfolgende Kreuzungen abarbeiten können, sollte die Gruppengröße das erfordern. Die Radlobby setzt sich für eine praxisnähere Regelung durch Vereinfachung ein.
8) Lkw: Schrittgeschwindigkeit beim Rechtsabbiegen im Ortsgebiet
Über 3,5 Tonnen schwere Kfz wie Lkw und Busse haben gemäß §21 Abs. 3 innerorts beim Rechtsabbiegen max. Schrittgeschwindigkeit einzuhalten, wenn mit Fuß- und Radverkehr zu rechnen ist.
Auch hier ist noch viel zu tun aufgrund der mangelnden Bekanntheit dieser Regelung. In der Praxis kommt es aufgrund von deutlich schnelleren Abbiegemanövern oft zu Gefährdungen. Die Radlobby setzt sich für mehr Aufklärung ein sowie stichprobenartige Kontrollen für mehr Bewusstsein. Generell sollten vermehrt Direktsichtkabinen in Verkehr gebracht werden, der Abbiegeassistent verpflichtend werden und bei starken Rechtsabbiegeströmen auf getrennte Ampelphasen gesetzt werden. Mehr Infos unter hier
9) Gesetzlich vorgeschriebene Rad-Wegweiser
Rad-Wegweiser wurden umfassend geregelt und entlang der Bestimmungen der Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen (RVS) Radverkehr gesetzlich vorgeschrieben.
Diese Änderung wurde gut umgesetzt. Die meisten Bundesländer und Gemeinden errichten entsprechende Rad-Wegweiser gemäß der RVS Radverkehr. Wir erwarten mit der Zeit weitere deutliche Besserungen, da laufend neue Schilder aufgestellt werden und die Zuständigkeiten durch Festlegung als Verkehrszeichen nunmehr deutlicher geregelt sind.
10) Verkehrszeichen-Abstand zur Fahrbahn reduziert
Der vorgeschriebene Abstand von Verkehrszeichen zur Fahrbahn wurde reduziert: Innerorts darf dieser bis zu 0 Meter (statt 0,3 m) und außerorts bis zu 0,3 Meter (statt 1,0 m) betragen, mit Ausnahmen. Das reduziert den Platzverbrauch von Fahrbahnen und Kfz-Infrastruktur.
In einigen Gemeinden wird bereits von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Dadurch werden Rad- und Gehwege tendenziell besser nutzbar, aufgrund einer erhöhten Durchgangsbreite. Sehr viele Gemeinden stellen Verkehrszeichen jedoch immer noch weit weg von der Fahrbahn auf. Kennen Sie solche störenden Verkehrszeichensteher?
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