Radfahren in der Lobau hat eine lange Tradition, wurde jedoch durch Maßnahmen im Sommer 2023...
Radfahren in der Lobau
Lange Tradition des Radfahrens
Wenige Hauptstädte der Welt haben einen Nationalpark auf ihrem Stadtgebiet. Wien hat einen sehr großen: die Lobau. Seit Jahrzehnten schätzen NaturliebhaberInnen zu Fahrrad und zu Fuß die Lobau als ein Paradies abseits des Autoverkehrs, besonders entlang der Strecke vom Hubertusdamm über Gänsehaufen und Mühlleiten bis zum Uferhaus.
In der Lobau besteht eine jahrzehntelange Tradition des Radfahrens. Die gut ausgebauten Wege mit einer Breite von 3 bis 5 Metern und die schöne Natur ziehen seit vielen Jahren Radfahrende an, sowohl aus Wien als auch von den umliegenden Gemeinden. Die ruhigen Landschaften und das angenehme Terrain bieten ideale Bedingungen für Fahrradtouren und locken Menschen jeden Alters an, die die Natur genießen und die Umgebung auf zwei Rädern erkunden möchten. Ein besonderes Highlight ist die Gänsehaufen-Traverse, wo von der Aussichtsplattform aus beste Sicht auf das Kühwörther- und Eberschüttwasser besteht.
Im Radlobby ARGUS Stadtplan Wien für RadfahrerInnen aus dem Jahr 1993 sind mehrere Routen durch die Untere Lobau eingetragen und wurden seither so akzeptiert. Es hat sogar der damalige Bürgermeister Helmut Zilk das Vorwort zum Stadtplan verfasst.
Untere Lobau fußläufig sehr schlecht erreichbar
Zu Fuß ist die Untere Lobau nicht gut erreichbar, mit den Stadtbussen 88B und 92B kommt man zwar in die Obere Lobau, der Fußmarsch zur Unteren Lobau beträgt jedoch drei Kilometer und bis zur Gänsehaufentraverse insgesamt rund sieben Kilometer. Das entspricht Gehzeiten von 1 bis 1,5 Stunden. Die Regionalbusse der Linien 551, 552 und 553 führen zwar zu den östlichen Zugängen, aber über große Umwege und mit langen Intervallen. Mit dem Auto sind die Zugänge Uferhaus bei Groß Enzersdorf und Mühlleiten erreichbar. Kein Wunder, dass dort sehr wenige Menschen zu Fuß unterwegs sind. Das Fahrrad bietet hier ein ideales Transportmittel, um diesen Bereich zu erreichen.
Bevölkerung Groß-Enzersdorf von Wien abgeschnitten
Die Sperre der Unteren Lobau wirkt sich nicht nur auf jene Menschen aus, die dort bisher zur Erholung mit dem Rad unterwegs waren. Sie hat auch beträchtliche Auswirkungen auf den Alltagsradverkehr wie pendelnde Radfahrende. Die BewohnerInnen der Groß-Enzersdorfer Ortsteile Mühlleiten, Oberhausen und Wittau können Wien derzeit nur über Landesstraßen erreichen, auf denen Tempo 100 gilt. Das ist eine Situation, die aus Sicht der Radlobby so nicht akzeptabel ist.
Die Begründungen für diese Restriktionen werden als nicht nachvollziehbar empfunden, und es gab einen wachsenden Unmut über die zunehmende Einschränkung des Zugangs zu öffentlichen Naturflächen. Die lokale Bevölkerung sieht die Einschränkungen als ungerechtfertigten Eingriff und hat die Petition “Rücknahme des umfassenden Radfahrverbots in der unteren Lobau” ins Leben gerufen, welche bereits von über 13.000 Menschen unterzeichnet wurde. Die Radlobby unterstützt die Anliegen der Petition nach Radfahr-Erlaubnissen in der Lobau.
Aktuell sei die Nationalparkverwaltung mit VertreterInnen der umliegenden Stadtgemeinden sowie der MA49 im Gespräch, um Möglichkeiten zu erarbeiten, der Bevölkerung von Mühlleiten einen Zugang zum Radwegenetz der Oberen Lobau zu ermöglichen.
Ereignisse 2023 und drakonische Strafen
Diese Wege, die viele Radfahrende regelmäßig nutzen, wurden 2023 scheinbar überraschend für den Radverkehr gesperrt. Besonders PendlerInnen, Erholungssuchende sowie ältere Menschen, die nicht mehr zu Fuß dorthin gelangen können oder Familien mit Kindern, sind davon stark betroffen. Die Nationalparkverwaltung beruft sich darauf, dass Radfahren dort schon bisher nicht erlaubt gewesen wäre.
Es wurden bis Spätsommer 2023 bereits mindestens elf Strafen mit vorangegangenen Anhaltungen bekannt, DerStandard berichtete ausführlich. Auch der Radlobby liegen konkrete Strafverfügungen in der Höhe von jeweils 350,- EUR vor. Aus unserer Sicht ist diese Strafhöhe deutlich zu hoch für erstmalige Übertretungen von bisher unklaren bis unbekannten Regelungen. Wir sprechen uns hier für eine bessere Verhältnismäßigkeit aus und für Aufklärung vor Strafen.
Bewertung der derzeitigen Lage
Unklare bis irreführende Kartendarstellung
In den offiziellen Karten waren Wege mit Radfahrerlaubnis gemeinsam mit allgemeinen Wegen in sehr ähnlichen Farben dargestellt, wodurch es schwierig war, die erlaubten und nicht erlaubten Routen voneinander zu unterscheiden.
Bis Mitte 2023 war zudem eine “Übersichtskarte Lobau” online bereitgestellt, die “Wander- und Mountainbikewege” sowie “Rad und Wanderwege” auswies, die es später dann nicht mehr gab (Faksimile untenstehend)
Bisherige Karten fokussieren sich vor allem. auf die Lobau selbst. Eine Darstellung der sehr wichtigen Rad-Anbindungen zu Hauptradrouten in der Umgebung fehlt bisher meistens. Auch Möglichkeiten zur Umfahrung des Nationalparks sind in den Karten nicht oder nicht gut dargestellt. Dadurch wird unnötig erschwert, über legale Verbindungen Bescheid zu wissen.
Kartenanbietende wie OpenStreetMap und GoogleMaps enthielten oder enthalten falsche Informationen und geben Routenempfehlungen aus, die durch Rad-Fahrverbote führen. Routenempfehlung GoogleMaps über nicht erlaubte Wege im Juli 2024:
Auf Plattformen wie Strava werden Radrouten durch die Lobau abseits erlaubter Wege angepriesen, einige davon sogar mit “Segmenten” zum besonders schnellen Radfahren auf mit Erholungssuchenden gemischt genutzten Wegen.
Vor Ort beschilderte Raderlaubnisse finden sich nicht immer in den offiziellen Kartendaten wieder, wie hier in der Saltenstraße auf dem Stück Wiener Stadtgebiet.
Beschilderung schlecht erkennbar bis uneinheitlich
Für weitere Probleme hat die uneinheitliche oder teils unklare Beschilderung vor Ort gesorgt. Beispiele dafür sind vor allem:
Die für den Radverkehr zulässigen Wege werden in der Lobau mit allgemeinen Wegweisern gekennzeichnet. Das Radsymbol ist sehr klein und aus einer üblichen Annäherungssichtweite nicht zu erkennen.
Die im Forstgesetz & laut “forstlicher Kennzeichnungsverordnung” vorgesehene Beschilderung durch normierte gelbe große Wegweiser und Radrouten-Hinweistafeln wird bisher nicht verwendet. Siehe Radlobby-Empfehlungen unten.
- Die langen schmalen Wegweiser sind vandalismusgefährdet. Wegweiser zu offiziellen Radrouten fehlen teilweise, wie hier bei der Dechantlacke im März 2024. Nach links führt die offizielle Rad-Route zum Josefsteg
- Die für Radfahrende entscheidenden Wegweiser standen/stehen teils “hinter” Fahrverboten. Es ist also nicht von vornherein klar, dass man sich auf einer zulässigen Radroute befindet. Siehe z. B. in der Lobaustraße an der Vorwerkstraße.
- Die begrüßenswerte Rad-Umleitung (z.B. bei Hochwasser) führt zu Wegen, an denen Radfahren lt. Beschilderung explizit nicht gestattet ist.
- Verschiedene Wege befinden sich teils innerhalb und teils außerhalb des Nationalparks auf Wiener Stadtgebiet. Es sind in weiterer Folge auch Wege mit Radfahrverbot belegt, die sich außerhalb des Nationalparkgebietes befinden.
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Zufahrtswege in die Lobau und zum Lobau Camp sind mit Fahrverbot beschildert. Es gibt Ausnahmen für AnrainerInnen, für landwirtschaftliche Fahrzeuge, für Reisebusse und Taxis. Es gibt keine Ausnahme für den Radverkehr.
Radfahren und Naturschutz sind vereinbar
Die Radlobby vertritt die Ansicht, dass Radverkehr und Naturschutz durchaus vereinbar sind. Radfahren gehört zu den nachhaltigsten Transportmitteln, erzeugt kaum Lärm und keine Emissionen. Insofern sieht die Radlobby das Radfahren auf Wegen im Nationalpark als sinnvoll an. Ein Fahrverhalten mit notwendiger Rücksicht auf Menschen zu Fuß und die Tierwelt ist selbstverständlich. Klar definierte Regeln und Wege sind notwendig, damit dem gelungenen Miteinander nichts im Wege steht und Konflikte vermieden werden.
Unsere Lösungsvorschläge
Rechtssicherheit durch gesetzeskonforme Beschilderung:
Laut Forstgesetz wird in der forstlichen Kennzeichnungsverordnung festgelegt, wie Radrouten im Wald zu Beschildern sind. Bei dieser Beschilderung besteht Rechtssicherheit und sie ist auch deutlich besser sichtbar. Die Radlobby hat einen Bildvergleich zwischen bestehender Beschilderung (blau) und einer neuen, gesetzeskonformen, Beschilderung (gelb) angelegt.
Überarbeitung des Wegekonzeptes in der unteren Lobau, so dass bedarfsgerecht eine Radfahrmöglichkeit besteht. Die Strecken sollten nach den Kriterien (Priorität in absteigende Reihenfolge) definiert werden:
- Vermeidung von Strecken die die Tierwelt stören
- Lenkung auf breiten Wegen mit guter Sicht, wo die Interaktionen mit Zufussgehenden möglichst entspannt ablaufen
- Naturerlebnis und Erholung der BesucherInnen
Zudem ist eine Anbindung von Mühlleiten an das Radverkehrsnetz von Wien erforderlich. Das Problem ist dass die optimale Strecke mehrere StakeholderInnen mit gänzlich verschiedenen Interessen betrifft:
- Stadt Wien
- Land Niederösterreich
- Via Donau
- Groß Enzersdorf
Lila und Schwarze Wege sollten zusätzlich freigegeben werden.
Die Öffnung des Hochwasserschutzdammes für den Radverkehr würde die Situation bei einer Sperrung der Schönauer Traverse (Eurovelo 6, strichlierte braune Linie) erleichtern. So könnte man auch bei einer Überschwemmung von Schönau über den Damm (schwarze Linie) in die Obere Lobau kommen.
Strava Metro für Lobau Mai 2023 bis April 2024. Die gefahrenen Routen decken sich sehr gut mit dem von der Radlobby festgestellten Bedarf.
Klärung zur Mitnahme von Fahrrädern: Lösungen für Besucher, die ein Ziel abseits der "Radfahrmöglichkeiten" haben. Zu- & Abfahrtsmöglichkeit schaffen.
Einfache, widerspruchsfreie und nachvollziehbare Kommunikation der überarbeiteten Radfahrerlaubnisse. In erster Linie durch Beschilderung, in zweiter Linie durch Leitfaden & Karten.
Aufklärung vor Strafen
Vielen sind die komplizierten Bestimmungen nicht vollinhaltlich bekannt, bei erstmaligen Anhaltungen sollte die Aufklärung im Vordergrund stehen. Anpassung der aktuell sehr hohen, (bis zu fünfstelligen) Strafandrohung für das Mitnehmen von Fahrrädern und Radfahren im Wiener Nationalparkgesetz. Klarer & eindeutiger Bezug auf das Befahren mit Fahrrädern nach Vorbild des Niederösterreichischen Nationalparkgesetzes.
Update September 2024 - Stellungnahme der Nationalparkverwaltung und MA49 der Stadt Wien:
Nach zwei konstruktiven Gesprächen mit den Verantwortlichen und Rad-Community veröffentlichen wir hier in Absprache mit der Stadt Wien die Stellungnahme von Nationalpark Donau-Auen Verwaltung und Stadt Wien, MA49 Forst- und Landwirtschaftsbetrieb vom 1.8.2024 zu diesem Artikel.
Lösungsorientierter Dialog auf Augenhöhe
Als Radlobby setzen wir weiterhin auf den fachlichen Austausch zur Verbesserungen von Infrastruktur & Information, wo dieser ermöglicht wird. So folgten wir gemeinsam mit anderen Stakeholdern & Verantwortlichen im Juni 2024 der Einladung von Michl Mellauner (PlanSinn) zum Dialog:
VertreterInnen von Stadt Wien, Rad-Community und Radlobby trafen sich zum konstruktiven Austausch zum Thema Radfahren in der Lobau anlässlich der Lobau Miteinander-Wochen 2024. Folgetermine sind erfolgt und geplant.
Gruppenbild vom konstruktiven Fachaustausch anlässlich der Lobau Miteinander-Wochen 2024
v.l.n.r.: Paul Proll (Mobilitätsagentur), Kinga Hat (Stadtumland-Management Wien/Niederösterreich), Martin Granadia (169k.net), Gernot Frank (citybiker.at), Roland Romano (Radlobby Wien), Andrzej Felczak (Radlobby Österreich), Susanne Leputsch (Stadt Wien, MA49 Forst- und Landwirtschaftsbetrieb), Michl Mellauner (PlanSinn), Alexander Faltejsek (Stadt Wien, MA49 Forst- und Landwirtschaftsbetrieb)
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