Neue Regierung 2020: Koalition mit Rad?

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Die neue Regierung ist angelobt und die Ressortverteilung entschieden. Zu den auffälligsten Neuerungen gehört die Einrichtung eines Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie - wo auch der Radverkehr rangiert. Wir werfen einen genauen Blick auf das Regierungsprogramm und fragen uns: Wie viel Koalition mit Rad steckt in ÖVP-Grüne?

Generelles

Bei den Nationalratswahlen im September 2019 erstellte die Radlobby wie bereits im Jahr 2017 einen Wahlkompass zu radrelevanten Herausforderungen auf Bundesebene.  Damit wurde den WählerInnen eine Entscheidungshilfe geboten, mit welchen Parteien eine Koalition mit Rad möglich ist. Die Ergebnisse betrafen rund 4,8 Millionen Menschen, die das Fahrrad in Österreich regelmäßig nutzen. 

Die neue Regierung muss im Verkehrsbereich progressiv und verantwortungsvoll sein und Herausforderungen der aktuellen Klima- und Verkehrspolitik erkennen. Sie soll geeignete Maßnahmen setzen, damit Radfahren deutlich attraktiver wird. Die überwältigenden Synergieeffekte von mehr Radverkehr für den Gesundheitsbereich müssen erkannt und die entsprechenden Investitionen getätigt werden. Wir wollen eine Regierung, mit der eine Koalition mit Rad möglich ist. 

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Die Ministerien der neuen Regierung. Zur Großansicht bitte auf das Bild klicken.

Ausgangslage spannend

Die Ausgangslage ist spannend, sitzen doch zwei Parteien in der Regierung, die bei unserem Kriterien-Check einereseits alle Punkte und andererseits keinen einzigen erreichten. 

Die ÖVP konnte zu den wichtigen konkreten Eckpfeilern im Radverkehr leider keine konkreten Absichtserklärungen nennen und erreichte 0 von 7 Punkten. Wir vermissten die notwendige Entschlossenheit, die bevorstehende Klimakrise durch mehr Radverkehr abwenden zu wollen. Ein kleiner Lichtblick war die geplante Aufhebung der aktuellen Schlechterstellung von Dienst-Elektrofahrrädern gegenüber Dienst-Elektroautos. Mit mehr Dienstfahrrädern alleine wird die Radverkehrsverdoppelung aber nicht zu erreichen sein. 

Die Grünen punkteten in allen abgefragten Kriterien. Aus ihren Antworten ging klar hervor, dass der Partei die Wichtigkeit des Radverkehrs bewusst ist. Man wollte gezielt Maßnahmen setzen und Budgetmittel frei machen, um die Rahmenbedingungen für den Rad- und Fußverkehr zu verbessern.

Hier zur Auswertung des Wahlbarometers 2019 -> Koaltion mit Rad 2019

Das Regierungsprogramm 2020 - abgeklopft auf die fünf Kategorien der Radlobby

1.    KLIMASCHUTZINVESTITIONEN/ RADVERKEHR ALS KLIMASCHUTZ 

Bund, Länder und Gemeinden müssen gemeinsam 30€ pro Einwohner und Jahr in den Radverkehr investieren. Das Bekenntnis zu dieser Investitionshöhe soll in einem Übereinkommen von Gemeinden, Ländern und dem Bund festgehalten werden. Hier sollte die Regierung eine entsprechende Investition zur Unterstützung der Länder und Gemeinden in Radinfrastruktur vorsehen und die Zuständigkeiten entsprechend regeln.

Eine Zahl zu dieser konkreten Herausforderung fehlt im neuen Regierungsprogramm gänzlich. Es ist vom "deutlichen Ausbau der Bundesfinanzierung für Infrastruktur, Routing, Kombination Rad/Öffis" die Rede, ebenso vom "Einsatz der Finanzierungmittel auf Basis des Masterplans Radfahren sowie eines gemeinsam mit den Ländern entwickelten
Fahrradprogramms („Masterplan Radland Österreich“)
". 

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Im angeführten Masterplan 2015-2025 von klimmaktiv.mobil und dem Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus finden sich jedoch auch keine konkreten Zahlen. Es wird lediglich darauf hingeweisen, dass "auf Ebene der Länder, Städte und Gemeinden eine Anhebung der Radverkehrsbudgets für die Zielerreichung notwendig" ist (MP Radfahren, S. 32).

In dem im Vorjahr von der Übergangsregierung vorgelegten Entwurf zur Begutachtung des Nationalen Energie- und Klimaplan (NEKP) findet sich die Feststellung eines Investitionsbedarfs in den Radverkehr von 2,2 Mrd. Euro für den Zeitraum 2020-30.  Dies sind etwa 80% der Radlobby Forderung von 3 Mrd. Euro im selben Zeitraum. Ob die neue Regierung diesen Investitionsbedarf auch tatsächlich durch Investitionen decken wird, bleibt vorerst offen. Es ist von einer "unmittelbaren Nachbesserung und Konkretisierung des Nationalen Energie- und Klimaplans" (S. 104) die Rede.

Vorschläge, Maßnahmen und Anreize zur Erhöhung der Bundes- und Landesbudgets sowie Gemeindemittel zum Radverkehr sind dringend notwendig, damit der Gesamtinvestitionsbedarf von 30 Euro pro Einwohner und Jahr auch möglichst aufgebracht wird.

2.    SICHERHEITSABSTAND UND TEMPOSCHUTZ (30/80)

Die neue Regierung muss die StVO so erneuern, dass sie radfreundlich ist. In einer radfreundlichen Novelle der StVO sollen sich die gesetzliche Regelung des Seitenabstandes beim Überholen, festgelegter Temposchutz (Tempo 30 innerstädtisch und Tempo 80 auf Freilandstraßen) und die Ausnahmeregelung für Rechtsabbiegen bei Rot für Radfahrende finden.

Diese konkreten Vorhaben finden sich nicht explizit im Regierungsprogramm. Man hält sich eher vage und plant:

  • Evaluierung der StVO auf Benachteiligungen des Radfahrens und Zufußgehens
  • Abbau von rechtlichen Barrieren zum Wohle des sicheren Radfahrens sowie Zufußgehens
  • Ermöglichung von Temporeduktionen in Ortskernen und vor Schulen sowie an Unfallhäufungsstellen (auch auf Landesstraßen) - Die Anpassung der generellen Tempolimit von 30, 80 bzw. 100 km/h fehlt!
  • Stärkung des Rücksichtnahmeprinzips in der StVO
  • Stärkere Priorisierung der Flüssigkeit und Leichtigkeit des Verkehrs für Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehr
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3.    BARRIEREABBAU

Auf S. 123 des Regierungsplanes heißt es, man wolle die "Bahn im Fernverkehr zur attraktiven Alternative machen". Dazu möchte man das Nachtzugangebot im
Fernverkehr, innerösterreichisch und zu internationalen Destinationen ausbauen. 
Man verspricht auch eine Verbesserung der Fahrradmitnahme im Fernverkehr. Erfreulich, jedoch sollte die Radmitnahme nicht nur verbessert, sondern als Standard in allen Zügen erlaubt sein. Ebenso fehlen konkrete und verpflichtende Vorschriften für Radumleitung bei Baustellen sowie für die Winterräumung. Die Öffnung von Einbahnstraßen sollte der Regelfall sein - sie bleibt jedoch im Regierungsprogramm unerwähnt.

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4.    ANREIZE SCHAFFEN

Stichwort Dienstfahrrad: Die neue Regierung zeigt sich bereit, den Fahrradverkehr auf betrieblicher Ebene zu fördern. Mit dem 2019 beschlossenen Steuerreformgesetz 2020 ist bereits ein Schritt in die richtige Richtung erfolgt, im neuen Regierungsprogramm findet sich nun das Versprechen zum Abbau finanzieller Barrieren: Man möchte die steuerliche Benachteiligungen im Radverkehr abschaffen - zum Beispiel beim Kilometergeld und für dienstliche Radfahrten: Man plädiert für eine "Forcierung umweltfreundlicher betrieblicher Mobilität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch
steuerliche Begünstigung von Unterstützungsleistungen für Radfahren, Förderungen
für private und betriebliche Anschaffungen von Rädern, Cargo-Bikes und E-Bikes und
entsprechender Abstellmöglichkeiten
" (S. 129).

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"Effiziente E-Mobilität jetzt: Schienen in die Zukunft und mehr Bahn, Bim & Bus" gibt sich die neue Regierung optimistisch. Man will Bahnhöfe modernisieren und sie so zu „Mobilitätsdrehscheiben“ machen. Auch Fahrradparken soll verbessert werden.

5.    QUALITÄTSSTANDARDS RADINFRASTRUKTUR

Radwege auf Hauptradrouten im Ortsgebiet müssen eine Mindestbreite von 2 m pro Richtung aufweisen. Hauptradrouten müssen als bauliche, schützende Radwege an Hauptstraßen sowie als Fahrradstraßen in ruhigen Seitengassen geführt werden. Dies gilt es in den entsprechenden Regelwerken zu verankern, jedoch finden sich keine derartigen Vorhaben explizit im aktuellen Regierungsprogramm. 

Positiv ist zu werten, dass erstmals eine "eigene Organisationseinheit für Fahrradfahren, Zufußgehen und Barrierefreiheit im BMVIT" verankert werden soll - wenn auch "durch Reorganisation der bestehenden Ressourcen".

Hier finden Sie das Regierungsprogramm zum Download.

Resümee

Das Regierungsprogramm handelt den Radverkehr gemeinsam mit dem Fußverkehr auf einer der 328 Seiten ab. Viel ausführlicher wird über "Straßenverkehr" (ohne Rad!), Gütertransport, Luftfahrt und glücklicherweise den öffentlichen Verkehr berichtet. Der geplante Klima-Rahmen für den Verkehrssektor bringt Rückenwind für den Umweltverbund. Die Vorhaben im Radverkehrsbereich sind eine Basis, von der aus große Verbesserungen möglich sind. Ob diese auch tatsächlich beschlossen werden und danach umgesetzt, das werden die kommenden Jahre zeigen. Die ersten Monate bis zum österreichischen Radgipfel werden dafür entscheidend sein. Am Radgipfel wird hoffentlich das lang ersehnte Grundsatzübereinkommen von Bund, Ländern und Gemeinden beschlossen.

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