Neue Ampel-App belegt: Viel Grün für Autos, lange Rot fürs Rad

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Am 5. November 2021 ein "Ampel-Pilotversuch mit App" und ein "Verkehrsmanagement 2.0" für Wien angekündigt. Die Radlobby Wien hat die Ampeln im Pilotgebiet getestet und berichtet hier über die Neuerungen nach dem ersten Test, weitere werden folgen. Hier direkt zum Fazit springen.

Pilotgebiet

Groß waren die Erwartungen nach der heutigen Ankündigung der neuen Grünen Welle rund um die Ringstraße und den Donaukanal. (Pilotgebiet siehe Karte, Stand 5.11.21). Seit Langem sind Ampeln in Wien für den Radverkehr ein Problem. Sie priorisieren oft den Autoverkehr und verursachen damit ungerecht lange Wartezeiten für Menschen zu Fuß oder am Rad.

Wir luden also die Grüne Welle Wien-App aufs Smartphone, montierten das Gerät am Lenker und starteten los. Es ging vom 3. Bezirk über Kai und Ringstraße über den Alsergrund und Josefstadt zur Freyung in die Innenstadt. In der App ist "Auto" der Standardmodus, zum Rad kommt man in den Einstellungen der Software.

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Keine besseren Ampelprogramme feststellbar

Auf unserem Weg können wir jedoch keine geänderten Ampelschaltungen vorfinden. Die Fuß- und Radampeln zeigen lange rot wie sonst auch, während der Autoverkehr lange Grünzeiten genießt und zügig an uns vorbeizieht. Bei der nach Radlobby-Protesten 2019 endlich umprogrammierten Ampel Uraniakreuzung zeigt die App die ganz normale Grünphase an. Eine weitere Ampel schaffen wir wie sonst auch immer bei Grün, danach kommen wir wie immer bei Rot an und müssen länger warten.

Die nationalen RVS-Richtlinien empfehlen seit vielen Jahren maximal 40 Sekunden Wartezeit als Stand der Technik. Auf unserer Testfahrt am Rad wird dieser Wert gleich mehrmals überschritten, teils massiv.

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Unterschiedliche Anzeigen im Automodus vs. Fahrradmodus

Die Fahrt beginnt zuvor mit dem mehrstufigen Queren beim Verkehrsministerium mit angezeigten 40 Sekunden Wartezeit plus 20 Sekunden Wartezeit auf einer kleinen Verkehrsinsel und endet mit angezeigten 75 Sekunden Wartezeit beim Schottentor. Im Fahrradmodus sieht man an der Ringstraße vor Ampeln einen roten Teppich mit grünen Strichen, während die App der AutofahrerInnen oft das Gegenteil anzeigt: grüner Teppich mit kleineren Unterbrechungen.

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Die Anzeigen der App belegen insgesamt, dass Ampelphasen in Wien ungerecht verteit sind. Beim Test wird immer deutlicher, dass Wiens "Grüne Welle" im Regelfall auf den Autoverkehr abgestimmt ist. Bis heute ist keine Grüne Welle für den Radverkehr in den Ampelprogrammen offiziell kommuniziert, wie das beispielsweise in Kopenhagen üblich ist.

Sehr häufig hat man an wichtigen Hauptradrouten Ringstraße und Kai am Rad gar keine Chance die nächste Ampel bei grün zu erreichen. Man verpasst die Grünphase standardmäßig oder wäre im besten Fall laufend gezwungen deutlich schneller zu radeln als die Verkehrssicherheit mit querenden Fußgängern, gemischten Geh-&Radwegen etc. zulässt, während daneben breite Fahrbahnen den Autos viel Platz zum Parken und Fahren bieten.

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Die App zeigt auf weiten Teilen der Strecke keine Information über die nächste Ampel an. Erst wenn die Ampel inetwa in Sichtweite kommt wird der rot-grüne Teppich angezeigt. Das ist in unserem Test bei zwei Drittel der Ampeln der Fall, bei den anderen ist es nur die Standardansicht mit Pfeil bzw. "keine Prognose verfügbar". Positiv: Ampelfreie Rad-Bypässe wie sie bei Schützenden Kreuzungen üblich sind wurden im Test zuverlässig erkannt und ohne irgendeiner Ampelphase angezeigt. (s.o.)

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Wirr waren dann die Anzeigen der App beim Queren der Ringstraße am Schottentor. Sie zeigte (lange) Rot, obwohl Grün war und dann Grün obwohl Rot war - ein Sicherheitsrisiko.
An dieser Kreuzung warten wir - wie immer - extrem lange auf Grün zum Queren, während in der Zeit wenige Autos auf der Ringstraße in hohem Tempo vorbeirasen.

Fazit für den Radverkehr:

Die heute vorgestellte App schaltet keine Ampeln besser. Sie ist ein kurzweiliger technischer Gag für die digital Versierten, alle anderen Menschen ohne Smartphone sind weiter den langen Wartzeiten bzw. dem Stop-and-Go Verkehr unterworfen.

Sprecher Roland Romano: "So eine App macht als Ergänzung zu gerechten Ampelschaltungen Sinn, kann diese aber nicht ersetzen. Ampeln an großen Kreuzungen sollten rasch zugunsten des Umweltverbunds neu programmiert werden, damit Wien seine Verkehrs- und Klimaziele erreicht.
Kurze Wartezeiten sollten möglichst vielen zugutekommen, das ist auch eine soziale Frage. Auch Menschen ohne ortbares Smartphone im Online-Modus samt Spezial-Software sollten gut in Wien vorankommen."

Schnelles Grün für Umweltverbund lässt auf sich warten

Also wartet Wien weiterhin auf Ampeln, die den Menschen und die menschliche Geschwindigkeit in den Vordergrund stellen statt Maschinen und Motoren.

Damit bleibt die heutige Verkündigung vom schnelleren Vorankommen des Radverkehrs bloß eine Ankündigung. Die Hoffnung: Bis Mitte 2023 sollen die Ampeln im Testgebiet "flexibler" schalten und damit für weniger Wartezeit an den dort liegenden Basisrouten des Radverkehrs sorgen.

Wir werden das sehr genau beobachten, ob das "Verkehrsmanagement 2.0" bis Mitte 2023 das Vorankommen des Radverkehrs tatsächlich beschleunigt oder ob sich das Maßnahmenpaket als Autobeschleunigung entpuppt.

Einen guten Einblick in zeitgemäße Ampelschaltungen bietet dieses Video. Darin enthalten sind viele brauchbare Anregungen für Wien!

 

Alle Bilder unserer Testfahrt