Wien nach 2020: Was kann das rosarote Koalitionspapier?

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Nach der WienWahl 2020 wurde am 24. November 2020 wurde die neue erste rot-pinke Regierung Wiens angelobt. Die Radlobby Wien hat das SPÖ-NEOS Koalitionspapier analysiert und kommentiert hier die wichtigsten Punkte daraus sowie den Voranschlag 2021.

Folgende Rad-Themenbereiche sind zukünftig durch die SPÖ verantwortet: Mobilität & Stadtentwicklung (Ulli Sima), Gesundheit & Soziales (Peter Hacker), Finanzen (Peter Hanke) sowie Umwelt- und Klimaschutz (Jürgen Czernohorszky). Die NEOS verantworten künftig die Bereiche Bildung, Jugend, Integration und Transparenz (Christoph Wiederkehr).

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Die Wiener Stadtregierung ab 24. November 2020 im Gruppenbild

Angesichts der Tatsache, dass die Covid-19-Krise noch länger anhält, überrascht es nicht, dass Gesundheit und Beschäftigung zwei der neun Kapitel im Regierungsprogramm sind. Der Radverkehr ist primär in den beiden Kapiteln Klimaschutz und Smart City Wien vertreten. Was konkret aber soll verbessert werden im Fuß- & Radverkehr? Wir erinnern uns: Die größte Verkehrsinitiative Wiens Platz für Wien hatte mit Unterstützung von Geht-doch und Radlobby Wien über 57.000 Unterschriften für 18 Forderungen mit dem Ziel der flächengerechten, kindgerechten und klimagerechten Stadt gesammelt. SPÖ und NEOS hatten zuvor bereits die Rad-Forderungen ins Wahlprogramm (SP, links) aufgenommen bzw. alle 18 Forderungen (NEOS, rechts) mit persönlicher Unterschrift unterstützt.

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Wahlversprechen von SPÖ Wien und NEOS Wien zur WienWahl 2020

Aus Sicht der Radlobby sind drei sehr positive Vorhaben enthalten: Der Klimaschutz wird intensiviert und verbindlicher, die Verkehrsorganisation in Wien wird rund um Superblocks ("Super-Grätzl") organisiert und der Ausbau der Radinfrastruktur wird deutlich besser finanziert als bisher. Viele Maßnahmen zu den 18 Forderungen von Platz für Wien werden zwar genannt, konkrete Zahlen sind jedoch selten zu finden.

Klimaschutz intensivieren

Wien soll bis 2040 CO2-neutral werden. Genaue Zielwerte für den CO2-Ausstoß werden leider nicht genannt. Gemessen an den vergleichsweise kleinen Wiener CO2-Senken (Waldfläche & Grünanlagen lt. MA 49 & MA 42) entspricht die Klima-Neutralität einer Reduktion auf Nahe-Null CO2-Emmissionen im Jahr 2040. Bisher sind bereits verbindliche Ziele für 2030 (-50%) und 2050 (-85%, jeweils zu 2005) in der Smart City Rahmenstrategie vom Gemeinderat beschlossen worden. Das neue Ziel für 2040 unterschreitet diese deutlich, liegt aber 20 Jahre (und entsprechende Regierungsperioden) in der Zukunft. Organisationen wie FridaysForFuture fordern Klimaneutralität für Städte bis 2030. Für die Zielerreichung soll laut neuer Regierung ein neues Treibhausgas-Budget im Rahmen eines neuen Klimaschutzgesetzes die notwendige Verbindlichkeit schaffen. Ob das gelingt ist noch unklar und wird von den Beschlüssen in den kommenden Monaten abhängen. Die Regierung trifft besser noch 2020 konkrete Vorbereitungen und Beschlüsse in den Monaten danach, denn die Zeit drängt: "Bleiben die THG-Emissionen in Wien auf derzeitigem Niveau, wäre das produktionsbasierte THG-Budget bereits 2028 aufgebraucht." (siehe WIFO, ETA & UniGraz)

Treibhausgasemissionen Wien, Vorhaben vs. Entwicklung

Treibhausgasemissionen Wien, Vorhaben vs. Entwicklung, Radlobby-Darstellung auf Basis von UIV, WIFO, ETA, UniGraz; verlinkt im Absatz darüber.

Strukturelles

Der Anteil der Fahrradwege an der Gesamtverkehrsfläche Wiens soll auf auf 10% gesteigert werden. (aktuell: 1%) Dies entspricht einer Verzehnfachung der Radwegfläche!

Geplant ist die Erarbeitung eines Radwegeausbauprogramms für die nächsten fünf Jahre. Dafür sollen 20 Mio. € jährlich zusätzlich investiert werden. Bisher waren es ca. 6-7 Mio. jährlich. Mit dieser Vervierfachung des Radbudgets wird eine NEOS-Forderung vom August 2020 erfüllt, die Radlobby sieht einen Investitionsbedarf von rund 60 Mio jährlich.

Mit der geplanten Erhöhung der Mittel begibt sich Wien ins Mittelfeld europäischer Großstädte: Statt bisher nur 3,5€ pro Einwohner stehen nun etwa 13 € pro Einwohner und Jahr aus Stadtmitteln zur Verfügung. Dadurch wird ein vergleichsweise hoher Beschäftigungseffekt erreicht, der in der Covid19-Krise Arbeitsplätze sichert. Die Erhöhung reicht kurzfristig für eine deutliche Erhöhung der jährlich fertigstellbaren Projekte, jedoch hat Wien in den letzten 10 Jahren auch einen Rückstand der Rad-Investitionen in dreistelliger Höhe angehäuft, der nun aufgeholt werden muss.

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Wir erinnern: Der deutsche Radverkehrsplan z.B. empfiehlt Städten, 15€ pro Einwohner jährlich zu investieren. Oslo investiert 70€, Utrecht 130€ pro Einwohner und Jahr.
Im Voranschlag für das Budget 2021 sind leider keine 20 Millionen für den Radvekrehr vorgesehen, was - wie man hört - dem Regierungswechsel zu schulden ist. Die Radlobby Wien hofft und drängt darauf, dass bereits 2021 in diesem Ausmaß investiert wird, denn jedes Jahr später ist ein verlorenes Jahr

Die geplante Erhöhung der Mittel muss jedoch auch projektiert, geplant und schließlich errichtet werden. Diesen erhöhten Personalbedarf sehen wir im Regierungsprogramm nicht abgebildet. In Berlin wurde zur Bewältigung einer vergleichbare Erhöhung der Mittel eine neue Planungs-GmbH gegründet, um den Umfang bewältigen zu können. Die Radlobby Wien fordert daher, die für den Gesundheitsbereich vorgesehene Personalbedarfsprognose auch für den Fuß- und Radverkehr in Wien vorzunehmen und neue Jobs für einen besseren öffentlichen Raum zu schaffen.

Weitere Punkte im Regierungsübereinkommen:

  • Ein neuer Wiener Straßenquerschnitt soll entwickelt werden und die Planungsprinzipien für den Fuß & Radverkehr konsequent umgesetzt werden. Radlobby: Das ist insofern ein erfreuliches Vorhaben, da Radverkehrsplanung in Wien oft sehr kleinteilig ist und gut etablierte Standards fehlen, wie es sie im Öffi- & Kfz-Verkehr seit Jahrzehnten gibt.
  • Konflikte zwischen Menschen zu Fuß und Menschen am Rad sollen durch "intelligente Planung und legistische Maßnahmen (Verkehrszeichen)" entschärft werden.
  • PKW-Infrastruktur soll dort reduziert werden, wo es für den Fußverkehr notwendig ist (z.B. Weglassen von Parkspuren für breitere Gehsteige). Radlobby: Hier wird leider nicht die aktive Mobilität insgesamt genannt, sondern ohne Radverkehr formuliert.
  • Wien hält an der Vision Zero (null Verkehrstote) fest, die auch bisher schon in einigen Regierungsübereinkommen stand. Leider auch diesmal wieder ohne Zieldatum.
  • Die Lenkungsgruppe Radverkehr soll weitergeführt werden und als Koordinierungsstelle für die zuständigen Magistratsdienststellen fungieren
  • Zahlreiche Brückenbauwerke, v.a. hochrangige Kfz-Infrastruktur, sollen saniert werden, allen voran das Mega-Projekt "Westausfahrt neu".
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Radinfrastruktur 

Streckenbereich:

  • Sichere und baulich getrennte Radwege auf Hauptstraßen allerdings mit dem Zusatz: "wo es technisch möglich ist", was generell viel Interpretationsspielraum lässt. Radlobby: Positiv ist zu sehen, dass hier "Technisch möglich" und nicht "politisch möglich" steht. Denn technisch möglich sind Radwege an vielen Stellen, wo sie bisher politisch blockiert wurden.
  • autofreie Bereiche und Stadtteile, beispielsweise durch Errichtung von Superblocks
  • Errichtung von Fahrradstraßen und komplettes Fahrradwegenetz aufbauen, indem nachrangige Straßen zu Fahrradstraßen werden, die miteinander verbunden sind.
  • Öffnung von Einbahnstraßen für den Radverkehr
  • Radlangstrecken: "wir bauen das Rad-Langstreckennetz aus"
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Kreuzungen:

Schützende Kreuzungen werden nicht wörtlich genannt, es werden stattdessen einige Maßnahmen genannt:

  • an allen Ampeln und Kreuzungen Warte und Haltezonen für Radfahrende markieren werden, "sofern sie den Vorrang des ÖV nicht einschränken"
  • Eine "einheitliche Linie"  (Anm: Anwendungsrichtlinie) für Zebrastreifen und Blockmarkierungen soll eingeführt werden.
  • "Es wird bessere Ampelschaltungen für Radfahrer_innen geben."

Örtlichkeiten

Folgende Straßenzüge und Gebiete sind im Übereinkommen für eine Umgestaltung/Umorganisation genannt:

  • Praterstern
  • Simmeringer Hauptstraße
  • Innere Stadt. Hier wird endlich nicht nur von Kfz-Verkehrsberuhigung gesprochen, sondern auch die Neuverteilung des öffentlichen Raumes vereinbart : "eine Einführung von Verkehrsberuhigungsmaßnahmen sollen umgehend Kfz-Stellplätze reduziert und in Flächen für den Fuß- und Radverkehr sowie Grünflächen umgewandelt werden." Bis 2022 soll die Neuregelung umgesetzt werden.

Multimodalität 

  • Im Rahmen neuer (Logistik-) Konzepte (z.B. Paketstationen, Bikesharing, Carsharing etc.) wird die Errichtung von Infrastruktur an multimodalen Knotenpunkten unterstützt. Außerdem werden entsprechende Flächen im öffentlichen Raum sowie die notwendige Finanzierung durch die Stadt bereitgestellt.
  • Ausweitung des Citybike-Systems auf die Außenbezirke. Citybikes und E-Scooter sollen Bestandteil des öffentlichen Verkehrsangebotes für „die letzte Meile“ werden. Die Radlobby Wien forderte bereits 2018, endlich den aufgeschobenen Ausbau vorzunehmen. Aber auch nach der Rettung des Citybikes im August diesen Jahres ist nicht viel passiert. Die Radlobby spricht sich - auf Betreiber von CityBike-Modellen gestützt - dafür aus, das System zu modernisieren, das bestehende Netz ordentlich zu verdichten und nur eine moderate Erweiterung des Geschäftsgebietes vorzunehmen.
  • Gratis-Ladestationen für E-Bikes sollen angeboten werden.
  • zehn neue vollausgestattete Sharing-Hubs/WienMobil-Stationen pro Jahr bis 2025 und zwei bis drei vollautomatische Fahrradgaragen, z.B. an U-Bahn-Endstellen
  • Dienste wie Essen auf Rädern oder die mobile Pflege sollen auf Elektrofahrräder und Elektroautos ausgerichtet werden
  • gezielte Programme, um die Radfahrkompetenz von Kindern zu verbessern (derzeit haben etwa nur 20 % der Kinder einen Radfahrausweis).
  • Weiters soll die Radmitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln "vereinfacht" werden.
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Finanzen und Gesetze 

  • Radinfrastruktur außerhalb des Hauptradverkehrsnetzes und Radabstellanlagen werden - wie bisher - aus dem Bezirksbudget finanziert. Anreize könnten wie bisher über eine Förderung für die Bezirke erfolgen.
  • Eine rechtskonforme Lösung der Verpflichtung für LKWs, Abbiegeassistenten zu installieren, soll erarbeitet werden.
  • Endlich nimmt Wien eine bessere Parkraumorganisation vor: 2021 bereits soll ein neues Parkraummanagementgesetz verabschiedet werden.
  • Innovative und ressourcenschonende Logistikkonzepte, wie der Einsatz von Lastenfahrrädern und alternativen Antriebsformen, sollen weiterhin von der Stadt gefördert werden

Fazit

Das Regierungsprogramm nimmt viele Elemente zeitgemäßer Radverkehrsplanung stichwortartig auf und kann eine gute Vorlage für die Regierungsarbeit der nächsten fünf Jahre bieten. Gleichzeitig bleibt es aber beim Großteil der Punkte bei einer Nennung ohne konkrete Zahlen. Die größte erfreuliche und gleichzeitig zentrale Ausnahme davon ist die deutliche Erhöhung des Radverkehrsbudgets von 6 auf 26 Mio. € pro Jahr. Es liegt nun an der SPÖ-NEOS Regierung, durch Beschlüsse und Maßnahmen zu zeigen, wie viel Platz fürs Rad in der rosaroten Koalition zur Umsetzung kommt!

An dieser Stelle möchten wir Interessierte auch auf die Analyse von Platz für Wien, die das Koalitionsübereinkommen auf die 18 Forderungen der Initiative abgeklopft haben.

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